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Kommunalpolitik : Probleme und Potentiale der "Wiege der Demokratie"

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Kommunalpolitik : Probleme und Potentiale der "Wiege der Demokratie".
Hrsg.: Schieren, Stefan
Schwalbach am Taunus : Wochenschau-Verlag, 2010. - 160 S. - (uni studien politik ; 40)
ISBN 978-3-89974-644-0

Kurzfassung/Abstract

Ob es der Personalausweis, das Aufgebot, die Geburtsurkunde, der Bauantrag oder die Grippeschutzimpfung ist, ob Müll abholt wird, das Wasser kommt oder ein „Knöllchen“ hinter dem Wischer klemmt. Jedes Mal kommt der Bürger mit seiner Kommune in Berührung. Ohne Kommunen läge das Kulturleben brach, würden elementare und existenzielle Voraussetzungen für das Leben in einer modernen Industrie- und Informationsgesellschaft fehlen.
Weil es um so existenzielle Belange geht, liegt es nahe, die Bürger an der Gestaltung dieser Angelegenheiten zu beteiligen. In Deutschland wird die kommunale Selbstverwaltung daher verfassungsrechtlich garantiert, gilt die Kommune darüber hinaus als „Wiege“ oder als „Schule der Demokratie“.
Im Verhältnis dazu ist das Interesse der Bürger an der Kommunalpolitik gering. In vielen Gemeinden Ostdeutschlands finden sich nicht einmal mehr genügend ehrenamtliche Vertreter für den Stadtrat oder gar das Amt des Bürgermeisters. Die Beteiligung an Kommunalwahlen ist stets niedriger als bei Landes- oder gar Bundestagswahlen, mit sinkender Tendenz. Der Blick in die Lokalteile vieler Regionalzeitungen zeigt: Kommunale Politik interessiert kaum, jedenfalls kaum mehr als die Jahresmitgliederversammlung des Trachtenvereins „Edelweiß e. V.“.
Möglicherweise sind die engen Handlungsspielräume der Kommunen eine Erklärung für dieses Desinteresse. Wozu engagieren, wenn man doch nichts entscheiden kann, wenn fast alles festgelegt ist?
In seinem Beitrag über die Stellung und Aufgaben der Kommunen skizzieren Max-Emanuel Geis und Sebastian Madeja, dass den Kommunen im Grundsatz ein großer Bereich zur freien Gestaltung zusteht. Auf der anderen Seite haben die Kommunen derart viele vorgegebene Aufgaben, dass sich diese rechtlich normierte Freiheit nicht entfalten kann. Das größte Problem stellt die mangelnde Finanzausstattung dar.
In dieser Hinsicht befinden sich die Kommunen in beinahe vollständiger Abhängigkeit zum Steuergesetzgeber. Die Einnahmen aus autonomen Steuerquellen decken nur den kleineren Teil der Ausgaben, Höhe und Stetigkeit der Steuereinnahmen sind durch die Kommune selbst kaum zu beeinflussen. Die Lage ist mittlerweile so dramatisch, dass viele Kommunen nicht einmal ihre Pflichtaufgaben aus ihren Einnahmen bestreiten können. Kommunen, die ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen können, werden unter staatliche Kuratel gestellt. Ein „Sparkommissar“ übernimmt das Ruder in der Stadt. Lars Holtkamp stellt die desaströsen Folgen dieser Entwicklung für die kommunale Demokratie und Selbstverwaltung dar.
Bis vor wenigen Jahren verfügten die Kommunen noch flächendeckend über Stadtwerke und andere Eigenbetriebe, die eine zentrale Aufgabe der Kommune übernahm: Die Daseinsvorsorge. Der Begriff deutet schon auf deren Bedeutung hin. Die Daseinsvorsorge bezieht sich auf die Versorgung mit Energie und Wasser, die Abfall- und Abwasserbeseitigung oder der ÖPNV als die wichtigsten Leistungen, kann sich aber auch weiter erstrecken, zum Beispiel auf Freibäder oder kommunale Krankenhäuser ein.
Wegen der Bedeutung für jeden Bürger, unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit, hielten die Gemeinden die Leistungen vor. So war ferner gewährleistet, dass die Daseinsvorsorge einer demokratischen Kontrolle des Stadtrats zumindest zugänglich war. Durch die Privatisierungswelle, die in den letzten zwei Jahrzehnten über das Land ging, haben die Kommunen somit nicht nur Eigentum verkauft, sondern auch wichtige demokratische Mitbestimmungsrechte veräußert. Welch schwerwiegende Folgen das für die kommunale Demokratie haben kann, zeigt Daniel Hildebrand in seinem Beitrag.
Stellt sich die Frage, welche Kompensationsmöglichkeiten es dafür geben könnte. Auffällig jedenfalls, dass nahezu zeitgleich mit der Privatisierung flächendeckend Formen direkter kommunaler Demokratie eingeführt werden. Die Direktwahl des (Ober-)Bürgermeisters ist ebenso die Regel geworden wie kommunale Volksentscheide über Sachfragen. Sabine Kuhlmann skizziert in ihrem Beitrag diese Entwicklung und weist auf die Möglichkeiten, aber auch die auf Grenzen direkter Demokratie auf kommunaler Ebene hin.
In der Gesamtschau der Beiträge ergibt sich dennoch das Bild, dass es mit der kommunalen Selbstverwaltung nicht mehr weit her ist. Zu fragen ist, ob der Niedergang der kommunalen Demokratie mit der Einführung direktdemokratischer Instrumente kompensiert werden kann, wenn es doch kaum noch etwas substantiell zu entscheiden gibt – sieht man von der Direktwahl des (Ober-)Bürgermeisters ab.
Die Kommunen führen folglich einen Mehrfrontenkrieg – gegen die fortgesetzte Überwälzung von immer mehr Aufgaben durch Bund und Land, gegen den Ausverkauf kommunaler Interessen, gegen die finanzielle Auszehrung und gegen die Verdrossenheit und das Desinteresse ihrer Bürger.
In dieser Situation kommt den Kommunalen Spitzenverbänden eine wichtige Funktion zu. Weil die Kommunen auf der Bundes- oder Landesebene über keine formellen Mitentscheidungsrechte verfügen, wie zum Beispiel die Länder über den Bundesrat auf Bundesebene, haben sich die Kommunen zum Deutschen Städtetag (grosso modo die kreisfreien und größeren Städte), dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (grosso modo die sonstigen Städte und Gemeinden) und dem Deutschen Landkreistag (die Landkreise) zusammengeschlossen. Sie vertreten sowohl auf Bundes- als auf Landesebene die Interessen der Kommunen. Dass diese in erfolgreicher Weise gelingt und hochprofessionell erfolgt, zeigt Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, in seinem Aufsatz.
Neben den Spitzenverbänden existiert ein weiterer weithin unbekannter und unbeachteter Kanal kommunaler Interessenartikulation und –durchsetzung, der auch in den meisten Abhandlungen über die Kommunalpolitik keine Erwähnung findet: Die kommunalpolitischen Vereinigungen und Gemeinschaften der Bundesparteien. Am Beispiel der Kommunalpolitischen Vereinigung der Union und der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik stellen deren Bundesgeschäftsführer, Tim-Rainer Bornholt bzw. Detlef Raphael, die Geschichte, Aufgaben und Leistungen dieser Organisationen vor. Diese Parteigliederungen organisieren über die ebenenübergreifende Versäulung der Parteien den unmittelbaren Zugang von Kommunalpolitikern zur Landes- und zur Bundesebene.
Spitzenverbände wie Parteigliederungen bemühen sich seit vielen Jahren darum, die Stellung der Kommunen dadurch zu stärken, dass sie Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte bei der Bundes- und Landesgesetzgebung sowie autonome, konjunkturunempfindliche Einkünfte erhalten.
Vielleicht können die Überlegungen aber noch weiter gehen. So sollten die Kommunen auch kompetenziell aufgewertet werden. Warum können die Kommunen nicht, wie in Großbritannien, selbst darüber bestimmen, ob der Bürgermeister direkt oder durch den Rat gewählt werden soll, ob die Wahlperiode vier, fünf oder sechs Jahre beträgt, welche Größe der Rat haben soll, welche Fragen dem Bürger zur direkten Abstimmung vorgelegt werden sollen, ob der Rat in einer Wahl komplett neu gewählt wird, oder statt dessen nach einem Drittel der Wahlperiode zu einem Drittel? So könnten die Kommunen wirklich zur „Schule der Demokratie“ werden. Die Bürger erhielten die Gelegenheit, auch über die Gestalt der lokalen Demokratie mitbestimmen zu können.
All das wäre allerdings in einer Kommunalverfassung zu regeln, und nicht in einer Kommunalordnung. Dies ginge allerdings erheblich zu Lasten der Länder, womit die Realisierungschancen gegen Null tendieren dürften.
Abschließend möchte ich noch unter einem methodischen und nicht inhaltlichen Aspekt auf die Beiträge von Sabine Kuhlmann und Max-Emanuel Geis hinweisen. Die Politikwissenschaftlerin Kuhlmann verwendet die Begriffe Kommunalverfassung, Parlamentarisierung oder Gewaltenteilung, um in Analogie zum politischen System auf Bundes- oder Landesebene zu beschreiben, wie sich die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie Machtkonstellationen auf kommunaler Ebene darstellen und entwickelt haben. Für den Juristen Geis hingegen verbietet sich die Verwendung dieser Begriffe. Die Staatsrechtslehre behält diese der staatlichen Ebene vor, zu der Bund und Länder zählen, nicht aber die Kommunen. Der Jurist sagt daher Kommunalordnung und nicht Kommunalverfassung, spricht von Stadtrat und nicht vom Kommunalparlament, verwendet nicht den Begriff Gewaltenteilung, weil es auf kommunaler Ebene weder eine gesetzgebende noch eine jurisdiktionelle Gewalt gibt, sondern nur die Selbstverwaltung. Es zeigt sich also, dass dieselben Begriffe nicht unbedingt dasselbe meinen und im jeweiligen wissenschaftlich-disziplinären Zusammenhang Unterschiedliches bedeuten können.

Weitere Angaben

Publikationsform:Buch
Schlagwörter:Kommunalpolitik; Kommunale Finanzen; Politisches System der Bundesrepublik Deutschland; Parteien; SPD; CDU; CSU, Demokratie; Direkte Demokratie; Bürgerbeteiligung
Sprache des Eintrags:Deutsch
Institutionen der Universität:Fakultät für Soziale Arbeit (FH) > Professur für Sozialpolitik und Verwaltungswissenschaften
Titel an der KU entstanden:Ja
KU.edoc-ID:4571
Eingestellt am: 13. Aug 2010 12:44
Letzte Änderung: 13. Aug 2010 12:44
URL zu dieser Anzeige: https://edoc.ku.de/id/eprint/4571/
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